1. Dezember 2020

„Der Umbau der Kunststoffindustrie zu mehr Nachhaltigkeit hat begonnen“

Fakuma Internationale Fachmesse für Kunststoffverarbeitung csm Dr Thomas Probst BVSE 86de4d70f2 uai

Interview mit Dr. habil. Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V.

Die Corona-Krise hat die Märkte durcheinandergebracht – auch den des Kunststoffrecyclings. Bis vor etwa drei Jahren waren die Kosten des Recyclings den Kosten von Neuware fast ebenbürtig. Durch Preisverfälle in den Rohölnotierungen hat sich die Schere zwischen Neuware und Recyclaten immer weiter geöffnet. Über das Thema Recycling sprach das Fakuma-Messeteam mit Dr. Thomas Probst vom Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. (bvse)

Herr Dr. Probst, mit welchen Erwartungen geht die Kunststoffindustrie aus Ihrer Sicht ins nächste Jahr?

Die Kunststoffhersteller und die Kunststoffverarbeiter leiden unter anhaltenden Verwerfungen, das sind insbesondere Absatzprobleme, Kunststoffbashing und Littering. Und diese Punkte sind überdies auch noch alle miteinander verknüpft. Der Gordische Knoten muss endlich durchschlagen werden – die Vorteilhaftigkeit des Materialstroms sollten Verbrauchern und der Politik bewusst werden.

Die vorgenannten Probleme haben sich seit Jahren aufgebaut. Durch Corona wurde die Situation noch deutlich verschlimmert. Aber eine Krise birgt auch die Möglichkeit zur Neuorientierung. So haben wir sicherlich Mitte bis Ende 2021 einen deutlichen Nachholbedarf, der weiter steigen wird. Der Umbau der Kunststoffindustrie zu mehr Nachhaltigkeit hat begonnen. Und dies muss aktiv kommuniziert werden. Das Kunststoffrecycling ist hierbei einer der positiven Aspekte, der aktiv zu kommunizieren ist. Die Kunststoffindustrie muss sich deshalb vorbehaltlos und weltweit zum Kunststoffrecycling bekennen. Überdies generiert Kunststoffrecycling weltweite Chancen und Märkte.

Welche aktuellen Entwicklungen gibt es in Sachen Kunststoff im Bereich der Verpackungen?

Die Änderungen bei den Verpackungskunststoffen lassen sich gut darstellen. Zunächst gibt es hier ganz klar den generellen Trend – weg von Kunststoffen – leider. Hier sind Papierverpackungen, genauer Papierverbunde, die Gewinner. Und die Augenwischerei dabei ist, dass die Verbunde ohne eine dünne Kunststofffolie, heiß aufgezogen oder verklebt, gar nicht auskommen. Zusätzlich gilt, dass Barriereschichten in Papierverbunden unerlässlich sind, um die Verpackungsgüter (Feuchte, Fette, Ausdampfen, Sauerstoffbarriere) zu schützen. Daneben gibt es zwar auch andere Verbundsysteme, von denen ist aber letztlich keines für die Weiterverarbeitung in den Papierfabriken vorteilhaft.

Der nächste Trend besteht aus Materialverschiebungen bei Leichtverpackungen, weg von den Polyolefinen und weg vom Polystyrol hin zu PET. Leider sehen wir auch, dass zunehmend unlösliche Verbunde, beispielsweise zwischen Label und Verpackungen, in den Verkehr gebracht werden. So wird hierbei bei Hohlkörpern der Papieranteil heiß auf den Kunststoff aufgezogen. Und diese Papierfasern finden sich dann in den Regranulaten. Allerdings gibt es durch D4R – Design for Recycling – zunehmend auch positive Trends, die langsam greifen. D4R ist eine wichtige Stellschraube, wenn die Vorgaben der Recycler beachtet werden.

2020 ist der Recyclatmarkt in die Knie gegangen – wie lässt sich Recycling aus Ihrer Sicht wieder attraktiv machen?

Um zu garantieren, dass das Kunststoffrecycling überhaupt noch bestehen kann, sind sofortige Anstrengungen der Verpacker und Inverkehrbringer gefragt. Und diese Anstrengungen betreffen deutliche größere Mengen an LVP-Kunststoffen, die Recyclate beinhalten müssen. Viele haben leider nicht verstanden, dass bis 2025 zusätzlich 500.000 Tonnen an Kunststoffen recycelt werden müssen; dies resultiert aus einer Selbstverpflichtung der Kunststoffverpacker. Darüber hinaus sind die anspruchsvollen Quoten in Höhe von 63 Prozent für das werkstoffliche Recycling aus dem VerpackG für LVP zu erfüllen.

Es ist also nicht so sehr eine Frage, die die Recycler unter Druck setzt, sondern die Produzenten. Die gute Nachricht ist, dass schon jetzt namhafte Markenhersteller und Discounter auf die Nachhaltigkeit des Kunststoffrecyclings setzen und damit ihrer Produktverantwortung gerecht werden. Diese Anstrengungen stehen aber am Anfang und sind bei weitem nicht genug! Recycler und Kunststoffverarbeiter müssen belohnt werden für die damit verbundene Vermeidung von Treibhausgasen, des geringeren Energieeinsatzes und die Ressourcenschonung.

Was genau macht des dem Recyclingmarkt so schwer? Er ist immerhin die Basis für eine gelingende Kreislaufwirtschaft.

Die Verwerfungen in den Märkten haben deutlich gemacht, dass sich die Preisbildung von Neuware und Recycling deutlich unterscheiden. Neuware ist letztlich an den Rohölpreis gebunden, der zurzeit konkurrenzlos billig ist. Recyclingkunststoffe bilden aber die gesamte Kette des Recyclings ab – das sind Sammeln, Sortieren, Aufbereiten und Verwerten. Bis Anfang 2019 waren die Kosten des Recyclings in etwa den Kosten von Neuware ebenbürtig. Durch Preisverfälle in den Rohölnotierungen, die Corona-bedingt zusätzlichen Auftrieb erhalten haben, hat sich die Schere zwischen Neuware und Recyclaten immer weiter geöffnet.

„Biokunststoffe“ kennen wir seit ein paar Jahren als Schlagwort. Was hat es damit auf sich, wie ist der Stand der Entwicklungen, wie und wo sind sie aus Ihrer Sicht einsetzbar?

Die Biokunststoffe sind ein weites Feld, das aufgespannt wird von nachwachsenden Rohstoffen, Abbaubarkeit und sogenannten Drop-In-Lösungen. Daher ist die Antwort nicht einfach. Hinsichtlich des Litterings hätten Biokunststoffe hervorragende Chancen, wenn deren Abbaubarkeit entsprechend getriggert wäre. Bei Kontakt mit Meereswasser, Boden oder Lichteinfall sollten diese Kunststoffe nach einer gewissen Zeit zerfallen. Man traut sich aber bei diesem Thema kaum noch auf bestehende Probleme hinzuweisen – das sind beispielsweise Home-Kompostierung, Additivierung, die Form der Abbaubarkeit in Mikropartikel, die vollständige Decarbonisierung sowie die Preisstruktur. Bisher sind Biokunststoffe in Nischen erfolgreich. Bei Massenkunststoffen wie beispielsweise bei Verpackungen sind sie bisher zu teuer, wenn man allein die Produktionskosten und die Verarbeitung kalkuliert. Das Blatt wendet sich aber, wenn man die Umweltkosten insgesamt betrachten würde. Aber auch Biokunststoffe tragen einen ökologischen Rucksack, der meistens unbeachtet bleibt.

Vielen Dank Herr Dr. Probst für Ihre interessanten Informationen!